Kontrolle von adaptiven Antennen fehlt Erste Verwaltungsgerichtsurteile zu 5G-Antennen
Im Januar 2021 fällten die beiden Verwaltungsgerichte Bern und Zürich – noch vor dem Erscheinen der neuen Vollzugsempfehlung – die ersten zwei Urteile zu adaptiven Antennen: «Alle bereits bewilligten Antennen brauchen eine neue Baubewilligung, falls sie künftig stärker strahlen sollen» und «gebaute Antennen können zu höheren Strahlenbelastungen führen als berechnet». Schutz vor Strahlung fordert deshalb, dass solche Antennen abgeschaltet werden müssen.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern sagt im Urteil Steffisburg, die Antenne dürfe zwar gebaut werden, aber nur so stark wie bewilligt senden. Dies auch dann, wenn die Vollzugsempfehlung etwas Neues empfehlen würde. Das Zürcher Gericht stellt im Fall Winterthur grundsätzlich in Frage, ob die Antennen sich wirklich an die bewilligten Senderichtungen halten werden. Weil Grenzwert-Überschreitungen drohen, weist es das Verfahren an das Baurekursgericht zurück, zur erneuten Beurteilung. Beide Urteile beinhalten wahren Zündstoff, haben enorme Bremswirkung bei der Einführung von 5G und stellen die neu erschienene Vollzugsempfehlung des Bundeamts für Umwelt grundsätzlich in Frage. Und sie führen zur Erkenntnis, dass alle bereits betriebenen adaptiven 5G-Antennen mangels Kontrollmöglichkeiten sofort abgeschaltet werden müssen! Hierbei sind sowohl die Kantone, wie auch die Gemeinden gefordert.
Der Entscheid aus dem Kanton Bern
Am 6. Januar 2021 bestätigte das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Baubewilligung für einen Neubau einer Mobilfunkanlage mit adaptiven Antennen (VGE 100.2020.27U). Die Beschwerdeführer befürchteten unter anderem, dass das BAFU einen «Erleichterungsfaktor» empfiehlt. Würde dieser angewendet, würden die Antennen stärker als bewilligt strahlen.
Nun hat das Verwaltungsgericht den Mobilfunkbetreiber einen grossen Stein in den Weg gelegt: Die geplante adaptive Antenne dürfe nur mit der maximal bewilligten Leistung betrieben werden. Weil sich das Gericht auf eine schweizweit geltende und etablierte Empfehlung stützt, hat dies Folgen für die ganze Schweiz.
Das Gericht schreibt unter 4.8
Soweit die Beschwerdeführenden befürchten, dass die zulässige Leistung dereinst […] unter Berücksichtigung eines zurzeit diskutierten «Erleichterungsfaktors» für adaptive Antennen erhöht wird, gilt Folgendes: Es trifft zwar zu, dass in diesem Fall mit stärkeren Immissionen zu rechnen wäre. Eine solche Leistungserhöhung könnte allerdings nur in einem ordentlichen Verfahren mit entsprechenden Einsprachemöglichkeiten bewilligt werden und nicht – wie die Beschwerdeführenden meinen – in einem sog. Bagatellverfahren. […]
Übertragen auf ein fiktives Beispiel sieht das folgendermassen aus:
Vor einem Jahr wurde die Antenne «Kochersrüti» in mit 200 W ERP Sendeleistung bewilligt. Wenn die Betreiberin den Erleichterungsfaktor anwenden möchten, dann würde die Strahlenbelastung zunehmen. Also darf die Antenne nur so stark strahlen, wie in den Baugesuchsunterlagen angegeben ist, auch wenn die Anlage damit nur sehr wenig Daten übertragen kann. Wenn die Betreiber stärker senden möchten, dann müssten sie ein neues Baugesuch für eine höhere Sendeleistung und eine Grenzwert-Überschreitung stellen. Wir sind überzeugt, dass die Gerichte ein Baugesuch für eine Überschreitung der Grenzwerte wie in der Vergangenheit auch in Zukunft nie bewilligen werden.
Gericht stützt sich auf NISV
Das Verwaltungsgericht stützt sich auf die Verordnung zum Schutz vor nicht-ionisierender Strahlung NISV, indem es sagt, dass die Anwendung eines Erleichterungsfaktors eine Änderung der Anlage darstelle (vergl. Ziff. 62 Abs. 5 NISV). Bei Änderungen erteilt der Kanton in Absprache mit der Gemeinde eine Bagatellbewilligung ohne Einsprachemöglichkeit. Oder die Gemeinde publiziert ein Baugesuch mit Einsprachemöglichkeit und erteilt eine ordentliche Baubewilligung. Gemäss Verwaltungsgericht kommt für die Anwendung des Erleichterungsfaktors nur die zweite Möglichkeit (ordentliche Baubewilligung) in Frage.
Dem gegenüber steht die am 23. Februar 2021 veröffentlichten Vollzugsempfehlung des Bundesamts für Umwelt BAFU. Dieses empfiehlt eine dritte Möglichkeit. Die Betreiber sollen komplett ohne Bewilligung den Erleichterungsfaktor anwenden dürfen (Übergangsregelung Seite 6). Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern hat mit seinem Urteil diese Regelung allerdings im Vornherein als ungültig erklärt.
Der Verein Schutz vor Strahlung forderte in einem Schreiben bereits alle kantonalen Ämter auf, die Übergangsregelung der neuen Vollzugsempfehlung (S. 6) nicht anzuwenden. Informieren auch Sie Ihr Bauamt über diese Rechtswidrigkeit in der Vollzugsempfehlung! Verwenden Sie dazu unseren Musterbrief.
Der Entscheid aus dem Kanton Zürich
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich befasst sich mit den vielfältigen Möglichkeiten von adaptiven Antennen (VB.2020.00544). Diese können sogenannte «Beams» formen und in eine oder mehrere Richtungen abstrahlen. Zur der Berechnung der Strahlenbelastung liegt dem Baugesuch ein Antennendiagramm bei. Vereinfacht beschreibt es die Form, wie die Antenne die Strahlung abgibt. Alle Antennendiagramme für adaptive Antennen weisen fälschlicherweise gegen unten nur eine ganz schwache Strahlung aus, obwohl sie auch gegen unten einen Beam formen können. In der Fachsprache sagt man: Die Antenne weist gegen unten effektiv keine Richtungsabschwächung aus.
Anhand eines Fallbeispiels kann man sich diese falsche Darstellung im Baugesuch gut vorstellen: Unterhalb der Antenne befindet sich ein Kindergarten. Im Baugesuch liest man aus dem Antennendiagramm, dass die Antenne über den Kindergarten hinweg strahlt. Nun befinden sich mehrere Nutzer hinter dem Kindergarten. Die Antenne formt einen starken Beam, um genügend Daten zu übertragen, und strahlt durch den Kindergarten hindurch in die Richtung der Nutzer. Der Beam kann durchaus stärker sein als auf dem Antennendiagramm eingezeichnet. Dadurch werden die Grenzwerte im Kindergarten deutlich überschritten. Das Antennendiagramm war im Baugesuch folglich falsch abgebildet.
Eigentlich müsste diese Grenzwertüberschreitung bei der Kontrolle auffallen. Dies ist bei falschen Antennendiagrammen nicht der Fall. In unserem Beispiel ist die Strahlung im Baugesuch so niedrig vorausgesagt, dass überhaupt gar keine Kontrollmessung (Fachsprache: Abnahmemessung) durchgeführt wurde. Die Behörde glaubte, dass es nicht zu einer Grenzwertüberschreitung kommen kann und sah von einer Messung ab.
Qualitätssicherungssystem für adaptive Antennen unbrauchbar
Im laufenden Betrieb sollte das Qualitätssicherungssystem kontrollieren, ob die Grenzwerte eingehalten werden. Das Qualitätssicherungssystem überprüft allerdings nur, ob Antenne korrekt geradeaus strahlt. Es kann nicht erkennen, wenn die Antenne gegen unten stärker strahlt. Dies gibt sogar die neue Vollzugsempfehlung zu: In Zukunft müsse auch überprüft werden, ob sich die Strahlung innerhalb des Antennendiagramms befindet, schreibt die Vollzugsempfehlung sinngemäss auf Seite 13. Bis eine solche Kontrollsoftware wie verlangt programmiert, zertifiziert und auditiert ist, wird es wohl einige Zeit dauern.
Die Vollzugsempfehlung beweist damit gleich selber, dass die adaptiven Antennen heute nicht kontrolliert werden können. Das Qualitätssicherungssystem taugt nicht zur Kontrolle von adaptiven Antennen, so wie dies schon vor Monaten von den Einsprechern festgestellt wurde. Das Verwaltungsgericht Zürich hat richtig erkannt, dass das Antennendiagramm bei adaptiven Antennen durchaus eine andere Form als bewilligt haben können. Dadurch sind grosse Grenzwert-Überschreitungen möglich. Es stellt ausserdem – zu Recht – in Frage, ob die für ältere Antennen entwickelten Diagramme auf adaptive Antennen übertragen werden können.
Fazit: Kontrolle von adaptiven Antennen fehlt
Alle adaptiven Antennen können bis auf weiteres nicht kontrolliert werden. Es drohen massive Grenzwert-Überschreitungen und damit eine grosse Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung. Daher fordern wir die Gemeinden mit Nachdruck auf, die Abschaltung der adaptiven Antennen zu verfügen, bis die QS-Systeme gemäss den Anforderungen der Vollzugsempfehlung angepasst, zertifiziert und von unabhängiger Stelle kontrolliert sind.
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Was ist der Vollzug?
Unter Vollzug versteht man das Ausführen der Anweisungen im Gesetz oder der Verordnung. In Bezug auf Mobilfunk besteht der Vollzug in der Regel aus folgenden Schritten:
- Prognose der Strahlenbelastung
Ausführung durch Mobilfunkbetreiberin, Kontrolle durch die Fachstelle des Kantons - Abnahmemessung -> Kontrolle, ob sich die Strahlung wie prognostiziert ausbreitet
Ausführung durch akkreditiertes Unternehmen, beauftragt durch Mobilfunkbetreiberin, Verantwortung bei der Gemeinde - Kontrolle, ob im Laufenden Betrieb die Grenzwerte eingehalten werden
Ausführung durch Mobilfunkbetreiberin mit zertifiziertem Qualitätssicherungssystem
Der Vollzug hat leider grosse Mängel, so dass es zu Grenzwert-Überschreitungen kommen kann.
Unsere Forderungen zum Mobilfunkausbau
Breitbandnetze (Glasfaser) als Eigenwirtschaftsbetrieb müssen als Teil der gemeindeeigenen Infrastruktur betrieben werden. Keine Vergabe von Infrastrukturprojekten an ein Monopol. Glasfasernetze sind die Grundlage zur Umsetzung einer strahlungsarmen Mobilfunkversorgung.
Die Grundlage jeder Planung von Mobilfunk muss die Trennung der Indoor- und Outdoor-Versorgung zum Schutz der Wohnung vor Strahlung sein. Neue Technik muss nachweisbar zu weniger Elektrosmog führen.
Die Gemeinden müssen den Ausbau des Mobilfunknetzes in ihrer Raumplanung festschreiben und bei diesem Prozess die Bevölkerung ernsthaft miteinbeziehen.
Die Mobilfunkbetreiber müssen Sendemasten gemeinsam nutzen und die zur Verfügung stehenden Sendeleistungen miteinander teilen.
Unabhängige Technikfolgenabschätzung ist Pflicht. Sie muss durch eine industrie- und regierungsunabhängige Kommission unter Beteiligung von Schutzverbänden und unabhängigen Vertretern des Gesundheitswesens erfolgen. Ohne Bewertung der Forschungsergebnisse über die Wirkungen der 5G-Frequenzen auf Mensch, Tier und Natur darf 5G nicht eingeführt werden.
Industrie und Staat müssen die Gesundheitsverträglichkeit der Mobilfunkstrahlung belegen.
Die Mobilfunkbetreiber selbst müssen die Haftung für allfällige Gesundheitsschäden übernehmen, die durch den Betrieb ihrer Sendemasten hervorgerufen werden.
Umweltschutz ist Pflicht, der Bund muss über den Netzausbau ein Gutachten zum ökologischen Fußabdruck vorlegen.
Das Recht, analog leben zu können, ohne digitale Überwachung, ist ein Grundrecht. Die Datenerfassung darf nur mit ausdrücklicher Zustimmung jedes Bürgers erfolgen. Von Jugendlichen unter 16 Jahren dürfen keine Daten erfasst werden.
Erhalt und Schaffung von funkfreien Gebieten für elektrosensible Menschen.
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