Lockerung der vorsorglichen Emissionsbegrenzung ist unzulässig Medienmitteilung: «Jetzt den Korrekturfaktor abschaffen und 3’000 Einspracheverfahren verhindern!»

in 5G, Medienmitteilungen, Mobilfunk

Nach dem Bundesgerichtsentscheid «Wil SG» ist klar: Rund 3‘000 Mobilfunkantennen funktionieren derzeit mit nicht bewilligter, zu grosser Leistung. Die meisten von ihnen überschreiten durch die Anwendung des sogenannten «Korrekturfaktors» regelmässig die Grenzwerte. Die Kantone empfehlen daher den Gemeinden neu, von den Mobilfunkbetreibern ein neues Baugesuch oder das Ende des Korrekturfaktor-Betriebs zu verlangen. Damit ist bis Ende Dezember 2024 eine Verdoppelung der hängigen Verfahren von heute 3‘000 auf 6‘000 zu erwarten. Diese Situation ist für Behörden, Antennen-Anwohner und Gerichte untragbar geworden. Hauptursache für diese Einspracheflut sowie das Ausbau-Chaos sind der Korrekturfaktor und die damit verbundenen Grenzwertüberschreitungen. Die stetige Zunahme an Mobilfunkanlagen, trotz Abschwächung des mobilen Datenwachstums, verstärkt das Problem. Der Verein Schutz vor Strahlung und die Einsprechenden verlangen unisono die Abschaffung des Korrekturfaktors und einen Antennen-Neubau-Stopp! Stattdessen sollen das Glasfasernetz zur Entlastung des Mobilfunknetzes (bis minus 30% der Antennen durch Trennung von Innen-/Aussenbereich) ausgebaut sowie eine Mobilfunkplanung mit Mitspracherecht eingeführt werden. Nur so nimmt das immer komplexer werdende Mobilfunk-Ausbau-Chaos ein Ende und macht den Weg frei für Rechtssicherheit für alle Beteiligten.

Das Bundesgericht stellte bereits im März 2023 im Steffisburger Mobilfunk-Fall den Anwohnern ein Recht auf ein ordentliches Einspracheverfahren für die Anwendung des Korrekturfaktors in Aussicht. Trotz diesem Gerichtsentscheid nahmen die meisten Kantone fortlaufend Meldungen zur Neuanwendung des Korrekturfaktors entgegen, ohne ein Baubewilligungsverfahren einzuleiten. Im Fall Wil SG schaffte das Bundesgericht Klarheit. Der Korrekturfaktor sei baubewilligungspflichtig. Damit sind auf einen Schlag über 3‘000 adaptive Antennen in der Schweiz illegal in Betrieb. Die Anwendung des Korrekturfaktors muss entweder beendet werden oder es ist ein neues Baubewilligungsverfahren durchzuführen.
Bedeutet das nun: Ende gut alles gut? Nein! Die Anwohnenden befürchten nun eine nachträgliche Bewilligung des Korrekturfaktors sowie weitere Grenzwertüberschreitungen und werden sich voraussichtlich mit Einsprachen dagegen wehren.

Wie konnte es so weit kommen?

Nach zweimaliger Ablehnung einer Grenzwertlockerung im Parlament und dem Entstehen grosser Rechtsunsicherheiten bei der 5G-Einführung, erliess der Bundesrat per 1. Januar 2022 eine Sonderregelung für die sogenannten adaptiven Antennen. Er wollte die 5G-Einführung erleichtern, dabei aber die Grenzwerte nicht (oder jedenfalls nicht erkennbar) lockern und zugleich tausende Baubewilligungsverfahren umgehen. Adaptive Antennen können die Energie bündeln und einen oder mehrere sogenannte «Beams» erzeugen. Weil die Strahlung dadurch angeblich gesamthaft abnähme, dürfte die Antenne um bis zu 10 Mal stärker als bewilligt strahlen, argumentierten die zuständigen Behörden. Die Sonderregelung für adaptive Antennen sieht vor, dass sie die Grenzwerte nur im Durchschnitt anstatt jederzeit konstant einhalten müssen. Das Prinzip: «Die Antenne darf mehr strahlen, um gesamthaft weniger Strahlung zu erzeugen», wird in der Bevölkerung nicht verstanden, denn es ist unlogisch und trifft direkte Anwohnende besonders hart. Da die Grenzwerte dadurch massiv überschritten werden, haben seit 2019 tausende Anwohnerinnen und Anwohner Einsprache gegen den Um- oder Neubau von Antennen eingereicht.

Ebenso viel Ärger ist auch durch die Abschaffung der Einsprachemöglichkeit gegen den Korrekturfaktor entstanden. Bei den ohne Korrekturfaktor bewilligten Antennen erhielten die Anwohnenden das Versprechen, dass die Grenzwerte eingehalten würden. Einige Tage oder Monate später funktionierten die Antennen dann doch – mittels Softwareänderung – mit Anwendung des Korrekturfaktors, worauf sich viele Anwohnende betrogen fühlten. Zahlreiche Betroffene mussten sogar dem Umbau auf adaptive Antennen machtlos zuschauen (wir berichteten), wobei nach kurzer Zeit auch bei ihnen die Grenzwerte überschritten wurden. Nach wie vor blockieren rund 3‘000 Einsprachen und Beschwerden die Um- und Neubauten von Antennen.

Das Chaos droht zu eskalieren

Seit 2019 erschienen jedes Jahr neue Rechtsgutachten, die den Korrekturfaktor und insbesondere die Abschaffung [PDF] der verfassungsmässig garantierten Rechte auf Einsprache als unzulässig einstuften. Die Abschaffung des Einspracherechts erkannte nun auch das Bundesgericht als gesetzes- und verfassungswidrig an. Nun könnte sich die Anzahl der hängigen Verfahren von 3‘000 auf 6‘000 verdoppeln. Hätte der Bundesrat von Anfang an die Grenzwertregelung beibehalten und die Einspracherechte der Anwohnenden respektiert, wäre es höchst wahrscheinlich nie zur aktuell verfahrenen und zermürbenden Situation gekommen.

Jetzt ist es Zeit, aus der Geschichte zu lernen: Der Korrekturfaktor ist genauso unzulässig wie die Abschaffung der Einspracherechte. Nebst der Baubewilligungspflicht erkannte das Bundesgericht (E. 4.2): «Die Anwendung des Korrekturfaktors bedeutet insofern den Wegfall (bzw. die Abschwächung) einer bisher geltenden, vorsorglichen Emissionsbegrenzung ("Worst-Case-Szenario") im Sinne von Art. 11 Abs. 2 Umweltschutzgesetz [...]». Faktisch ist dieser Wegfall eine Grenzwertlockerung. Eine Lockerung der Grenzwerte wäre nur dann zulässig, wenn die Begrenzung technisch oder betrieblich nicht möglich oder wirtschaftlich nicht tragbar wäre (Art. 11 Abs. 2 USG). Da aber adaptive Antennen effizienter sind als bisherige Antennen, haben sie keine Lockerung der Vorschriften nötig. Mit den Worten des Bundesgerichts: «Im Übrigen können adaptive Antennen auch ohne Anwendung eines Korrekturfaktors adaptiv betrieben werden, mit den sich daraus ergebenden Vorteilen». Also ist ein Wegfall der vorsorglichen Emissionsbegrenzung rechtswidrig.

Der Verein Schutz vor Strahlung fordert: Wiederherstellung des Schutzniveaus!

Der Verein Schutz vor Strahlung fordert den Bundesrat auf, keine weiteren Bundesgerichtsentscheide abzuwarten, die schrittweise vieles rückgängig machen werden. Der Bundesrat ist nicht berechtigt, irgendwelche (aktuell vorgesehene) Anpassungen von Berechnungsmethoden oder Vollzugsempfehlungen vorzunehmen, die zu versteckten Leistungserhöhungen der Mobilfunkantennen führen. Rechtsunsicherheit, Gerichtsverfahren und Unbehagen in der Bevölkerung würden so nur weiter zunehmen. Stattdessen fordern wir die sofortige Abschaltung und Abschaffung des Korrekturfaktors sowie die Wiederherstellung des bis 2019 geltenden Schutzniveaus. Zudem sollen keine neuen Mobilfunkanlagen mehr bewilligt, sondern eine nationale Mobilfunkplanung unter Einbezug der Bevölkerung erstellt werden.

Weiterführender Artikel: Alle Informationen zum Korrekturfaktor hier

Warum entlastet Glasfaser das Mobilfunknetz?

Eine Studie der IT’IS-Foundation im Auftrag des BAKOM zeigt, dass es 30 % weniger Mobilfunkantennen bräuchte, wenn sie hauptsächlich nur den Aussenraum versorgen würden. Der Grund ist einfach: Knapp 80% aller mobilen Daten werden im Innenraum konsumiert – obwohl es dort meist ein WLAN- oder einen Kabelanschluss hätte. Für die Durchdringung der Mauern müssen die Antennen sehr stark strahlen. Dazu kommt, dass einige Festnetzanbieter das Festnetzsignal für Internetanwendungen an Desktop-PC‘s teilweise mit Mobilfunk liefern, womit die Mobilfunkantenne sofort ausgelastet ist. Mit Glasfaser würden die Festnetzanschlüsse viel effizienter und die Datenübertragung über Mobilfunk überflüssig.

Medienkontakt

Medienkontakt Verein Schutz vor Strahlung
Rebekka Meier, Präsidentin
rebekka.meier@schutz-vor-strahlung.ch
032 652 61 61

bis am 10. Juli 2024 noch telefonisch erreichbar, danach nur per E-Mail

GrenzwertüberschreitungenBundesgericht: Der Korrekturfaktor bedeutet Wegfall einer vorsorglichen Emissionsbegrenzung

Nach drei Jahren Rechtsunsicherheit und hunderten bereits bewilligten adaptiven Antennen beschloss der Bundesrat im Dezember 2022: Adaptive 5G-Antennen dürfen regelmässig viel stärker strahlen – sogar ohne erneute Baubewilligung und Einsprachemöglichkeit! Die zahlreichen Überschreitungen der Anlagegrenzwerte befeuerten den Widerstand in der Bevölkerung, was tausende Einsprachen zur Folge hatte. Doch Menschen ohne Einsprachemöglichkeit fühlten sich übergangen und betrogen. Das «Buebetrickli», mit dem die Leistungserhöhung verschleiert wird, heisst in der Fachsprache «Korrekturfaktor». Er ist also die Ursache tausender Einsprachen. Das Bundesgericht erklärt den Korrekturfaktor nun als baubewilligungspflichtig. BGE 1C_506/2023

Bundesgericht: Der Korrekturfaktor bedeutet Wegfall einer vorsorglichen Emissionsbegrenzung

2 Kommentare zu diesem Beitrag

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

  1. Die MF-Branche hat zusammen mit der Vollzugsbehörde und der BPUK (Regierungsräte zuständig für Bau- Planungs- und Umweltfragen) am 11. Juni 2024 abgemacht, dass die rechtswidrig in Betrieb genommenen Antennen nicht abgeschaltet werden müssen, wenn bis Ende 2024 ein nachträgliches Baugesuch bei der Gemeinde nachgereicht wird! Dies da ja die Grenzwerte eingehalten würden !!!

    Dazu laufen im Kanton jedoch bei 127 Gemeinden und über 380 MF-Anlagen bereits baupolizeiliche Anzeigen, welche ein Abschaltung der rechtswidrig stärker strahlenden Antennen verlangt. Der Verein WIR, Hansueli Jakob und plannetzwerk reichten diese ein. Der Verein WIR wird die Abschaltungen nun auch auf dem Rechtsweg einfordern und erstreiten. Es handelt sich bei der systematisch vorgenommenen Aufschaltung des Korrekturfaktors (=Sendeleistungserhöhung) um einen Straftatbestand nach Art. 50 ff. BauG (Bauen ohne Baubewilligung).

  2. “Diese Kinderchen hier in diesem Sandkasten dürfen bedenkenlos mit dem dreifachen Grenzwert bestrahlt werden, weil ja dafür andere Kinderchen auf andern Spielplätzen verschont bleiben.” So die – logische? – Argumentation von Bundesrat und Mobilfunkanbietern.