1. Teil der Serie: Mobilfunk-Fälle beim Bundesgericht Antenne nur 35 Zentimeter über Mauerseglernest geplant

in 5G, Mobilfunk, Schweiz, Studien, Umwelt und Natur

Erstmals sollen Mauersegler stärker bestrahlt werden, als es für Menschen erlaubt ist – ohne ornithologische Überwachung und technische Kontrolle. Die geplante Antenne im Turm der katholischen Kirche Lengnau AG spaltet nicht nur das Dorf, sondern kann auch Mauerseglern gefährlich werden. Zwölf geschützte Mauersegler-Pärchen nisten direkt unter den geplanten Antennenkörpern.  Die Strahlenbelastung wäre wesentlich höher, als sie für Menschen zulässig ist. Gegen das Vorhaben ist eine Beschwerde vor Bundesgericht hängig. Dürfen geschützte Tiere versuchsweise und ohne Überwachung bestrahlt werden, wenn dies möglicherweise zu ihrem Verschwinden führen könnte?

Bei «gewöhnlichen» Baubewilligungsverfahren prüfen die Behörden in der Regel, ob die Grenzwerte für Menschen auch bei vollständiger Auslastung der Antenne eingehalten sind. Selbst dann, wenn sich Menschen nur kurzzeitig am Ort der stärksten Belastung aufhalten, darf kein Schaden entstehen. Die Vorschriften dazu sind in der Verordnung über den Schutz vor nicht-ionisierender Strahlung (NISV) festgehalten. Vorschriften für den Schutz von Tieren fehlen in der NISV jedoch vollständig. Bisher konnte man auf solche Vorschriften verzichten, da sich die Nistplätze und «Wohnräume» von Tieren in deutlichem Abstand von Antennen befanden.

Die geplante Antenne im Kirchturm in Lengnau AG schafft eine neue Situation. Die Distanz zwischen Antennenkörper und Nistkästen soll bloss 35 Zentimeter betragen. Die Strahlenbelastung liegt aufgrund des kleinen Abstands deutlich über den für Menschen geltenden Immissionsgrenzwerten. Würde sich ein Mensch an derselben Stelle aufhalten, könnten – sogar aus Sicht der Behörden – Schäden durch Erwärmung entstehen. Umso stärker gefährdet wären die zierlich gebauten Mauersegler-Eltern und vor allem deren verletzlichen Jungvögel.

Abschirmung schützt zu wenig

Die Firma Salt versucht nun, die Strahlung etwas abzumildern, indem sie eine «Abschirmung» installieren möchte. Wie diese aussehen und aus welchen Materialien sie bestehen soll, darüber schweigt sich die Bauherrin aus. Ebenso unklar ist, wie die jährliche Reinigung der Nistkästen vonstattengehen soll. Zudem würden die Antennenpanels und die Abschirmung den Zugang zu den Nistkästen praktisch verunmöglichen. Für die allerkleinsten Jungvögel könnte eine solche Abschirmung nützlich sein, für deren Eltern und sowie grössere Jungvögel wäre sie jedoch nutzlos. Mauersegler-Eltern füttern ihre Jungvögel in kurzen Abständen und krallen sich dabei an die Aussenwand des Nistkastens. Sobald die Küken etwas grösser sind, strecken sie den ganzen Tag ihre kleinen Köpfe aus dem Einflugloch. Die Jungvögel wie auch ihre Eltern befänden sich deshalb regelmässig im nicht abgeschirmten Bereich und würden stark bestrahlt. Nie zuvor wurden Mauersegler einer so grossen Strahlung ausgesetzt.

Strahlung stärker als für Menschen zugelassen

Die Beschwerdeführer reichten im Verlauf des Verfahrens Berechnungen ein zur Strahlung am Eingang des Nistkastens. Sie gehen von einer Belastung von über 100 V/m aus, also mehr als das Doppelte des Immissionsgrenzwerts. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) musste zur Beschwerde und den Berechnungen der Strahlenbelastung Stellung nehmen. Es behauptet, die Immissionsgrenzwerte würden eingehalten. Dieser Unterschied in den Berechnungen lässt sich so erklären: Statt wie in den vergangenen 20 Jahren in Bezug üblich, die Strahlung für die kürzeste Distanz zwischen Antennenkante und Aufenthaltsort zu berechnen, stellte das BAFU eine Prognose für die Distanz zwischen Antennenmitte und Aufenthaltsort. Statt von 35 cm Distanz geht das BAFU von über einem Meter aus und kommt auf eine falsche (zu kleine) Strahlung. Damit behandelt es Vögel schlechter als Menschen, was uns willkürlich erscheint. Das BAFU benutzt dabei zudem die Berechnungsformel für das «Fernfeld». Diese Formel darf jedoch erst ab einer Distanz von rund 50 Metern zur Antenne angewandt werden (sogenannte «Fraunhofer Distanz»). Würde die korrekte «Nahfeld-Formel» verwendet, wäre das Resultat eine viel höhere und somit realitätsnahe elektrische Feldstärke. So berechnet würden in Realität die Immissionsgrenzwerte beim Eingang des Nistkastens deutlich überschritten!

Auch stellt sich die Frage, weshalb der dauernde Aufenthaltsort für Mauersegler so behandelt wird, als handelte es sich um einen Ort für den kurzzeitigen Aufenthalt von Menschen. Aus unserer Sicht jedoch sind Nistkasten wie auch dessen Eingang Orte mit empfindlicher Nutzung, so wie dies auch Wohungen und Arbeitsplätze von Menschen sind. Denn die Mauersegler halten sich ununterbrochen in diesen Bereichen auf und strecken neugierig ihre kleinen Köpfe über Stunden aus dem Loch hinaus.

Überwachung und Messung wären notwendig

Die Gemeinde verfügte in der Baubewilligung, dass die Antenne wieder demontiert werden müsse, sollte der Bruterfolg abnehmen. Wir anerkennen die guten Absichten der Gemeinde, die Mauersegler-Population zu schützen, doch wurde dazu weder eine ornithologisch kompetente Überwachung der Gesundheit der Vögel noch eine technische Kontrolle der Strahlung angeordnet. Mauersegler sind bekannt als besonders standorttreu: Sie kommen jeden Frühsommer aus dem Süden zu ihrem Nistkasten zurück. Sie können nicht «umplatziert» werden! Vielmehr könnten sie bei Störungen vollständig verschwinden. Es ist durchaus möglich, dass die Mauersegler nach dem Bau der geplanten Mobilfunkanlage ihre Nistkästen verlassen, oder die Jungvögel könnten krank werden und verenden. Um später eine Abschaltung überhaupt verlangen und die Auswirkungen der Strahlung beurteilen zu können, müssten die Verantwortlichen die Vögel sowie deren Nachkommen zwingend vor und während der Bestrahlung untersuchen, sowie allfällige Veränderungen dokumentieren lassen. Ebenso müssten die Strahlenbelastungen dokumentiert werden, die in und vor den Nistkästen auftreten. Nur so kann ein allfälliger Schaden in Grenzen gehalten oder eine Abschaltung verfügt werden.

Überhitzung der Jungvögel und Insektenschwund

Ferner kritisieren die Beschwerdeführer, dass die Antennen-Elektronik ihre Abwärme in die Luft abgäbe und damit die Nistkästen aufheizen würde. Wenn junge Mauersegler im Nest zu warm haben, stürzen sie sich heraus, noch bevor sie fliegen können. Beim Kirchturm Lengnau hätte dies ihren sicheren Tod zur Folge.

Bisher nicht eingereicht wurde die neuste Studie der Universität Neuenburg, die eine Abnahme der Insektenvielfalt und -dichte rund um Mobilfunkantennen als sicher erachtet. Mauersegler kreisen oft Stunden in der Nähe ihrer Nester und fressen fliegende Insekten. Geht diese Futterquelle infolge starker Mobilfunk-Strahlung zugrunde, hätte dies auch Konsequenzen für den Bruterfolg der Mauersegler. Müssen Eltern von Jungvögeln zur Nahrungsbeschaffung weit fliegen oder finden sie zu wenig Nahrung, werden sie weniger Junge erfolgreich grossziehen können.

Wir hoffen, das Bundesgericht gewichtet den Schutz von seltenen Vögeln auch bei Antennenprojekten hoch und verhindert eine massive Bestrahlung der geschützten Lengnauer Mauersegler. Damit kann es zu einem Stopp des massiven Artensterbens beitragen. Wir möchten uns noch lange an den kreisenden «Spyren» mit ihren typischen «srieh --- srieh»-Rufen erfreuen!

Medienkontakt Verein Schutz vor Strahlung
Rebekka Meier, Präsidentin
rebekka.meier@schutz-vor-strahlung.ch
032 652 61 61

Quellenangaben

  1. Studie «Wirkung von nichtionisierender Strahlung (NIS) auf Arthropoden», Universität Neuchâtel im Auftrag des BAFU
  2. Beitragsbild: Junger Mauersegler blickt aus seinem Nest, Fotografin: Carolin Zimmermann

Serie: Mobilfunk-Fälle vor Bundesgericht

Erstmals seit über fünfzehn Jahren sind mehr als zwanzig Beschwerden gegen den Neu- oder Umbau von Mobilfunkanlagen vor Bundesgericht hängig. Die neue Technologie 5G und die geplante, enorme Dichte an Antennen werfen eine grosse Anzahl ungeklärter Fragen auf. Das Bundesgericht muss sich zudem mit Fragen des Vogel- und Naturschutzes auseinandersetzen. Wir bieten ihnen in Form einer Serie einen Überblick über diese wegweisenden Verfahren

2 Kommentare zu diesem Beitrag

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  1. Ich möchte mich nicht in juristische Probleme einmischen.
    Aber über die Lebensweise der Mauersegler wird in der Begründung Einiges behauptet, das m.E. so nicht stimmt.
    Aber vielleicht ist das auch gar nicht so wichtig.
    Die Literaturstudie der Uni Neuchâtel ist m.E. nur beschränkt brauchbar, auch deswegen, weil es nur Gliederfüssler und nicht Vögel betrifft.
    Ich habe eine viel ausführlichere Literaturliste, wo auch Studien über den Einfluss der EM-Strahlung auf Vögel enthalten sind.
    Wenn Sie interessiert sind, können Sie mich per Mail kontaktieren.

  2. Lieber Verein
    Einfach so wertvoll und kostbar – der kraft- und liebevolle Einsatz zum Schutz für die Natur- und Tierwelt! Möge die Vereinskraft wachsen und sich vermehren bis sie siegreiche Gewinne verzeichnen kann! Das ist mein Herzenswunsch! Liebe Grüsse, B. Sedelberger