Ostergeschenk des Bundesrates Medienmitteilung: Strahlenschutz wird aufgeweicht

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Zürich, 23. April 2019 (Aktualisiert am 27. April 2019)   Der Bundesrat genehmigt am 17. April 2019 technische Änderungen an der Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NISV). Entgegen der Medienmitteilung aus dem Bundeshaus führen diese Anpassungen zu einer starken Schwächung des Schutzniveaus vor Mobilfunkstrahlung. Das Ostergeschenk für die Mobilfunkanbieter ebnet den Weg für 5G und beinhaltet eine Grenzwerterhöhung durch die Hintertüre.

Über die NIS-Verordnung limitiert der Bundesrat die Einflüsse von magnetischen und elektromagnetischen Strahlen auf Mensch und Umwelt wie sie beispielsweise beim Betrieb von Mobilfunkantennen entstehen. Zudem wird damit die Ermittlung und die Beurteilung der Immissionen von Strahlung und die Anforderungen an die Ausscheidung von Bauzonen geregelt. Diese vom Bundesrat erlassene, auf das Umweltschutz- und Raumplanungsgesetz gestützte Verordnung wird per 1. Juni 2019 angepasst.

Mobilfunkantennen sind in der Schweiz bereits mit der 5. Generation in Betrieb.

Sendeleistung um 10 bis 40 Mal höher

Der Weg für die rasche Einführung von 5G und die damit verbundene Verwirklichung der bundesrätlichen Strategie «Digitale Schweiz» wird mit dem Verordnungspaket Umwelt Frühling 2019 geebnet. Darin wird in der NISV ein Grundsatz festgelegt. Die konkrete Ausführung dieses Grundsatzes wird auf Stufe Vollzugshilfe geregelt, ist also noch nicht abschliessend definiert. In der Verordnung heisst es neu:

NISV, Anpassung Ziff. 63

Als massgebender Betriebszustand gilt der maximale Gesprächs- und Datenverkehr bei maximaler Sendeleistung; bei adaptiven Antennen wird die Variabilität der Senderichtungen und der Antennendiagramme berücksichtigt.

Markus N. Durrer, der die Ärztinnen & Ärzte für Umwelt (AefU) und die Umweltallianz in der Vollzugsbegleitgruppe Mobilfunk des BAFU vertritt, erklärt das so:

Mit dieser Anpassung müssen nun die adaptiven Antennen, die für 5G breitflächig installiert werden sollen, jedoch auch bereits bei 4.5G zum Einsatz kommen können, den Anlagegrenzwert nicht mehr bei ihrem höchstmöglichen Betriebszustand einhalten. Dieser kleine Passus in der NISV schafft nun die rechtliche Grundlage, dass den Mobilfunkbetreibern mit der Ausgestaltung neuer Vollzugshilfen entgegen gekommen werden kann. Für den Vollzug steht zur Diskussion, dass diese neu eingeführten Antennen den Anlagegrenzwert um 10 bis 16 dB temporär überschreiten dürfen. Dies erlaubt den Betreibern eine Erhöhung der effektiven Sendeleistung (ERP) um den Faktor 10 bis 40. Mit diesem Bubentrick in der Verordnung wird quasi eine Grenzwerterhöhung durch die Hintertür ab 1. Juni 2019 ermöglicht. Markus N. Durrer, Elektroingenieur und Leiter Institut für Bauhygiene (IBH)

Auch bestehende Anlagen sind von der Anpassung betroffen

Mit 5G werden Antennensysteme zum Einsatz gelangen, die ihre Senderichtung automatisch in kurzen zeitlichen Abständen anpassen können – sogenanntes Beamforming. Um dieser technischen Ausprägung nachzukommen, hat der Bundesrat folgende Ergänzung an der NISV vorgenommen:

NISV, Erweiterung Ziff. 62 Abs. 6

Sendeantennen gelten als adaptiv, wenn ihre Senderichtung oder ihr Antennendiagramm automatisch in kurzen zeitlichen Abständen angepasst wird.

Auf der ersten Blick erscheint es als klar, dass diese Beschreibung lediglich auf künftige 5G- und nicht auf bisherige Antennen zutreffen kann. Beamforming ist aber bereits in der Spezifikation für 4G enthalten (siehe Infokasten), womit diese bestehenden Anlagen ebenfalls der Kategorie der adaptiven Antennen zugerechnet werden könnten. Leider ist anhand der öffentlichen, vom Bund bereit gestellten Karte nicht ersichtlich, ob ein Sendemast damit betrieben wird.

In einer Medienmitteilung der Swisscom vom 20. April 2016 entdeckte nun unser Verein «Schutz vor Strahlung» folgende Aussage: «[…] Bereits mehr als 100 Orte sind mit LTE advanced ausgerüstet […]». Und damit wird es brisant:

  Das vorsorgliche Schutzniveau für die Schweizer Bevölkerung ist ab dem 1. Juni 2019 nicht mehr gleich – entgegen der Falschaussage des Bundesrates.

Infokasten
Warum 4G bereits schon 5G ist

Die ersten Begriffe für das Mobilfunk waren beschreibend. «Natel» beispielsweise bezeichnet die Verwendung als (Nationales) Autotelefon. Generationensprünge waren damals Buchstaben (Natel A, B, C und D). Mit Natel D hielt dann die GSM Technik Einzug, welche gemeinhin als 2G bezeichnet wird (das G in 2G steht dabei für Generation, sprich die 2te Generation an Mobilfunktechnik). Beflügelt vom Erfolg von 2G und zur Koordination der nächsten Mobilfunkgeneration 3G (auch WCDMA oder UMTS genannt) wurde von den damals grossen europäischen Telefonanbietern das Konsortium 3GPP gegründet. In den Anfangszeiten noch in Konkurrenz mit anderen Mobilfunktechniken steht 3GPP auf globaler Ebene mittlerweile unangefochten da und betreibt die Standardisierung der Mobilfunktechnik mit Akribe voran.

Mit 4G wurde ein Paradigmawechsel vollzogen, welcher sich auch im Namen LTE für Longterm Evolution wiederfindet. Der Fokus liegt auf Langlebigkeit und eine evolutionäre Entwicklung wird angestrebt, d.H. Brüche zwischen den Generationen werden möglichst vermieden, da sie oft auch mit hohen Kosten für die Beschaffung einhergehen. Dadurch ist der Generationen-Begriff in 4G und 5G eigentlich etwas obsolete und ein Teil von 5G steckt eben auch in 4G oder bereits schon in 3.9G.

Besser wäre es, wir würden uns bei der aktuellen Diskussion um Antennenmasten und deren gesetzliche Auslegung auf die effektiven Ausbaustadien gemäss 3GPP beziehen, welche diese als Releases bezeichnet und somit greifbar werden. Release 8 und 9 stehen dabei für 3.9G (fast LTE 4G aber eben nicht ganz), Release 10 bis 12 steht für 4G, Release 13 und 14 für LTE Advanced Pro oder 4.5G und Release 15 und 16 sind dann richtiges 5G.

Infokasten
Wann kommt beamforming zum Einsatz?

Basisstationen können sich in verschiedenen Betriebsmodi befinden (siehe Abschnitt «Transmission modes (TM) in LTE downlink» im Artikel von Rohde & Schwarz, 1MA186, Juni 2015). TM1 bis TM5 verwenden starre Antennediagramme, betrieben daher kein Beamforming und sind daher gemäss NISV nicht adaptiv. TM6 bis 8 hingegen beschrieben flexible Antennendiagramme und fallen daher unter die Kategorie «adaptive Antenne». TM6 und TM7 wurde bereits in 3GPP Release 8 eingeführt, TM8 kam mit Release 9 hinzu... d.h. alle 3 Betriebsmodi können bereits in bestehenden Antennenanlagen verwendet werden. Ob diese Antennenmasten effektiv in diesen Betriebsmodi betrieben werden, lässt sich mit den aktuell zur Verfügung stehenden Informationen des Bundes nicht in Erfahrung bringen; hier wäre mehr Transparenz gewünscht.

Übersichtskarte «Antennenstandorte in der Schweiz»

Keine Grenzwerte für Antennen mit weniger als 800 Betriebsstunden

Ein neuer Passus unter der Ziffer 61 der NISV, welche den Geltungsbereich von Sendeanlagen für Mobilfunk und drahtlose Teilnehmeranschlüsse betrifft, weicht den Strahlenschutz weiter auf. Neu sollen Sendeanlagen, die während weniger als 800 Stunden pro Jahr senden, künftig nicht mehr einer Emissionsbegrenzung unterstellt werden. Dies ist insofern gravierend, dass temporäre Antennenstandorte wie sie z.B. für Grossanlässe wie Festivals oder Sportanlässe verwendet werden, keinem Strahlenschutzgesetz mehr unterstehen.

NISV, Erweiterung Ziff. 61 Bst. d

Die Bestimmungen dieser Ziffer gelten für Sendeanlagen für zellularen Mobilfunk und Sendeanlagen für drahtlose Teilnehmeranschlüsse; ausgenommen sind:
d. Sendeantennen, die während weniger als 800 Stunden pro Jahr senden.

Diese Anpassung könnte gesundheitlich gravierend werden. Ein Beispiel: An Grossanlässen wie z.B. Street Parade, Lauberhornrennen, Eidgenössisches Schwing- und Älplerfest, Engadiner-Skimarathon aber auch z.B. für 2 Stunden pro Tag am Bahnhof Stadelhofen oder Bahnhof Bern (um Spitzenzeiten abzudecken) können ab 1. Juni 2019 Mobilfunkrepeater ohne gesetzlichen Grenzwertbetrieben werden.

Darum ist Fakt:

  Das vorsorgliche Schutzniveau wird angegriffen und Besucher von Grossanlässen oder stark frequentierten Orten sollten sich möglicherweise mit einer erhöhten Strahlenbelastung gefasst machen.

BAFU soll Monitoring betreiben und periodisch informieren

Etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung schätzt die Strahlung von Mobilfunkantennen als sehr gefährlich oder eher gefährlich ein – das ist eine Aussage des Bundesamt für Statistik aus den Ergebnissen der Omnibus-Erhebung von 2011 und 2015. Wie hoch die Strahlungsbelastung im heutigen Lebensumfeld tatsächlich ist, wird zurzeit nicht systematisch erhoben. Mit der vorliegenden Anpassung der NIS-Verordnung soll dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) als Umweltschutzfachstelle des Bundes ausdrücklich die Aufgabe zugewiesen werden, die NIS-Immissionen in der Umwelt zu erheben, die Risikobewertung durchzuführen und über beide Aspekte periodisch zu informieren. Gemäss Bundesgesetz über den Umweltschutz (Umweltschutzgesetz USG) mindestens alle vier Jahre.

In den Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen schreibt der Bundesrat: «Die Immissionen müssen nicht nur erhoben werden, es muss auch sichergestellt sein, dass sie für den Menschen und die Umwelt nicht schädlich oder lästig sind.». Dies widerspricht jedoch dem USG, wo im ersten Artikel, Absatz 2 steht: «Im Sinne der Vorsorge sind Einwirkungen, die schädlich oder lästig werden könnten, frühzeitig zu begrenzen.» Spätestens mit der Einführung von 5G, wahrscheinlich aber bereits mit deren Vorgängergenerationen 2G, 3G und 4G wurde dieser Grundsatz des Umweltschutzgesetzes zu Ungunsten der Bevölkerung ungenau interpretiert.

  Die WHO schätzt Mobilfunkstrahlung als möglicherweise Krebserregend ein und damit könnte diese Einwirkung durchaus schädlich oder lästig werden.

Personengruppen mit erhöhter Empfindlichkeit, Kinder, Kranke, Betagte und Schwangere müssen geschützt werden

Laut einer vom BUWAL in Auftrag gegebenen, repräsentativen Umfrage im Jahre 2004, schreiben 5% der Bevölkerung eigene gesundheitliche Beeinträchtigungen dem Phänomen Elektrosmog zu. Gemäss der Studie «M. Röösli et al., Sense and sensibility in the context of radiofrequency electomagnetic field exposure, C. R. Physique (2010), doi: 10.1016/j.crhy.2010.10.007» von 2011 sind 8.6% der Schweizer und Schweizerinnen elektrosensibel. In der Schweiz sind damit über 700’000 Menschen von elektromagnetischer Hypersensibilität (EHS) betroffen. Dass die Zahlen der Studie aus 2011 weiterhin aktuell sind, unterstreicht Herr Martin Röösli, Strahlenexperte des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institutes, im Radiobeitrag auf SRF1 «Diskussionsrunde zu 5G». Gemäss Artikel Artikel 13, Absatz 2 im Umweltschutzgesetz USG, müssen Personengruppen mit erhöhter Empfindlichkeit, Kinder, Kranke, Betagte und Schwangere ebenfalls mittel Immissionsgrenzwerten geschützt werden.

  Der steigenden Tendenz von EHS wird mit der wirtschaftsfreundlichen Digital-Politik des Bundesrates leider keine Rechnung getragen. Im Gegenteil, zu Ostern wurden der Bevölkerung und den Räten in Bundesbern faule Eier in das Nest gelegt, unbeachtet ob diese bekömmlich sind oder nicht. Es bleibt zu hoffen, dass die Räte den üblen Geruch bemerken und das Ostergeschenk mittels Motion an den Bundesrat zurückgeben.

10 Kommentare zu diesem Beitrag

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  1. 5G ist schädlich für uns Menschen.und Tieren.
    Es ist so traurig ? dass immer die macht und s‘Gelt gewisse Menschen blind macht.
    Es reicht. Wir müssen nicht immer mehr mehr haben……..

  2. Es ist das gleiche, dreckige Spiel,wie beim Asbest.Uns wurde die Wahrheit verschwiegen. Die Politiker haben das Spiel mitgespielt,und die Folgen kennen wir heute. Verantwortlich ist keiner. Wir sollten alle G5 Akteure auflisten,und sie später zu Rechenschaft ziehen.Wie kann man so dumm sein und seine eigenen Kinder schädigen. Diese Politlügner sollten zu Rechenschaft gezogen werden. Leider haben wir in einer Welt mit dieser Presselandschaft nur eine kleine Chance.

  3. Mit diesem Vorgehen ist die abgekartete Strategie bewiesen. Es geht nur ums Geld. Absolut dreckiger Betrug der Schweizer Regierung und Lobby

  4. Ihr wisst ja alle dass das Handy am Kopf viel mehr strahlt als jede Antenne im Umkreis von 3 km.
    Wir haben bis heute noch keine belegte Studie die Beweisst das Handystrahlen schädlich sind und das Mobilephone ist heute etwa 40 Jahre alt.
    Adaptive Antennen strahlen nur dort wo Handy auf empfang sind, also viel weniger als die alten Antenne die Rundherum strahlen.

    1. Herr Thoma
      Ich muss mich schon wundern ab Ihrer Unkenntnis; was Studien betrifft, rate ich Ihnen, sich besser zu informieren, indem Sie z.B. auf dieser Webseite nach “Studie” suchen oder sich unter https://www.emfdata.org/de zu informieren.
      Was die Schädlichkeit von Mobiltelefonen gegenüber Antennen betrifft, so war das vielleicht noch in den 90er und 00er Jahren so. Inzischen ist die Verbreitung resp. Durchdringung der Smartphones bei fast 100% und somit hat man IMMER ein oder mehrere Geräte in seiner unmittelbaren Nähe (ÖV, Arbeitsplatz etc.). Betreffend die Antennen: denken Sie doch mal an Kabelschachtantennen, die von der Swisscom seit drei Jahren als “Pilotversuche” in schweizer Städten eingesetzt werden und alles andere als weit weg sind.
      MfG,
      S. Dietschi

    2. Grüezi Herr Thoma

      Es gibt haufenweise belegter Studien, welche den negativen Einfluss auf den menschlichen Körper darlegen.
      Nachfolgend ein paar Beispiele:

      http://bemri.org/publications/biological-effects-of-non-ionizing-radiation/78-grigoriev-bioeffects07/file.html Alteration of heart rhythm
      https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S221475001730063X Altered gene expression[
      https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/15368378.2017.1350584 DNA damage

      Ganz zu Schweigen von den vielen Studien welche den negativen Einfluss auf die Pflanzen und Tierwelt belegen. Nachfolgend ein paar Beispiele:

      https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3052591/ Honigbienen
      https://ehtrust.org/wp-content/uploads/Mt-Nardi-Wildlife-Report-to-UNESCO-FINAL.pdf Vögel
      https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/0048969795049223 Pflanzen

      Weitere Studien finden Sie u.a. unter https://www.5gspaceappeal.org/the-appeal/ aufgelistet. Die Bedenken und die damit verbundene Vorsicht ist aus meiner Sicht absolut begründet.

      Beste Grüsse

      Simon Baumgartner