Corona-Massnahmen vom Bundesrat Medienmitteilung: «Fristen für Verfahren wurden ausgesetzt – ausser jene für Baubewilligungsverfahren»

in 5G, Mobilfunk, Politik, Schweiz

Zürich, 26. März 2020 Mit Beschluss vom 20. März 2020 hat der Bundesrat die meisten Fristen für nicht-dringende Verfahren ausgesetzt – ausser für Baubewilligungsverfahren. Die Unterschriftensammlungen und Treffen unter Einsprechern laufen jedoch weiter. Menschen in Quarantäne, mit einer Erkrankung oder solche, die wegen ihrer Arbeit im Spital oder in der Familie überlastet sind, können ihre Rechte nicht mehr ausüben. Mit einem Brief an alle Kantonsregierungen will der Verein «Schutz vor Strahlung» erreichen, dass die aktuelle Situation nicht willkürlich ausgenutzt werden kann, und dass sowohl die Gesundheit als auch die Rechte aller Betroffenen geschützt werden.

Aktuell laufen in der Schweiz alleine im Zusammenhang mit Mobilfunkanlagen mehr als 1200 Baubewilligungsverfahren. In diesen Verfahren sind im Durchschnitt 85 Personen beteiligt, welche Einsprache gegen eine geplante Mobilfunkanlage eingereicht haben. Somit sind mehr als 100’000 Personen, die seit Juni 2019 eine Einsprache unterzeichneten, von laufenden Baubewilligungsverfahren für Mobilfunkanlagen betroffen.

Der Bundesrat hat am 20. März 2020 beschlossen, dass die Verfahrensfristen in Zivil- und Verwaltungsverfahren ab 21. März 2020 stillstehen. Zu diesem Zweck dehnt er die Gerichtsferien über Ostern aus. Mit der Verlängerung der Gerichtsferien wollte der Bundesrat es Gerichten, Behörden, Anwälten und Parteien ermöglichen, ihren Betrieb den aktuellen Umständen anzupassen. Die grosse Ausnahme sind jedoch Baubewilligungsverfahren und erstinstanzliche Beschwerdeverfahren (z.B. vor dem Regierungsrat), was bedeutet, dass auch die Mobilfunkanlage-Verfahren betroffen sind.

Der Bundesrat teilte gleichentags mit, dass «im Zusammenhang mit Volksinitiativen unter anderem die Fristen für die Sammlung von Unterschriften für Volksinitiativen und die Fristen für die Behandlung der Volksinitiative durch Bundesrat und Parlament ruhen». Online-Publikationen sowie auch das Verteilen von Unterschriftenbögen ist untersagt. Offensichtlich will der Bundesrat direkte Kontakte und zwischenmenschliche Interaktionen möglichst verhindern.

Während Unterschriftensammlungen für Volksinitiativen verboten sind, laufen jedoch zahlreiche Unterschriftensammlungen und Treffen für Einsprachen gegen Mobilfunkanlagen weiter. Vielfach sind sich die Einsprecher klar bewusst, wie unerwünscht dies ist. Doch bleibt ihnen schlicht nichts anderes übrig! Sie sehen sich gezwungen, die momentan überforderten Nachbarn über das Bauvorhaben in ihrem Quartier aufmerksam zu machen. So wurden in zehn Monaten über 100’000 (!) Einsprache-Unterschriften gesammelt. Dadurch aber finden täglich viele aktuell unerwünschte Direkt-Kontakte statt, die zu einer weiteren Ausbreitung des Corona-Virus führen können. Dieser Zustand ist unhaltbar.

Dass die Fristen für Baubewilligungsverfahren nicht stillstehen, hat noch weiter reichende Folgen. Wir stellen fest, dass beinahe alle Bauämter in der Schweiz den Schalterbetrieb eingestellt haben. Termine sind entweder gar nicht oder nur nach Vereinbarung möglich. Damit können die Verfahrensunterlagen von den Betroffenen kaum mehr eingesehen werden, Unterschriftensammlungen und Informationsveranstaltungen sind aufgrund des Versammlungsverbots ausgeschlossen. Sitzungen mit einem Juristen sind nur noch unter erschwerten Bedingungen, und für Risikopatienten kaum mehr möglich.

Folgende Personen können ihre politischen und juristischen Rechte überhaupt nicht mehr wahrnehmen:

  • Menschen unter Quarantäne oder in Selbst-Quarantäne
  • Menschen mit einer Vorerkrankung, 65-jährig oder älter
  • Eltern, die zeitgleich im Home-Office arbeiten und Kinder betreuen
  • Hilfeleistende, die sich um kranke oder ältere Angehörige kümmern
  • ALLE, die im Gesundheitswesen arbeiten

Wegen der hohen Belastung unter den veränderten Umständen können die Fristen nicht eingehalten werden. Wenn ein Baugesuch neu eingereicht wird oder ein Verfahren bereits läuft, können die Betroffenen sich weder über neue Baugesuche informieren, um rechtzeitig und korrekt Einsprache zu erheben, noch Stellungnahmen einreichen oder Beschwerden verfassen. Sie werden faktisch davon abgehalten, die öffentliche Auflage von Baugesuchen persönlich einzusehen. Damit verpassen sie den Einstieg in den individuellen Rechtsschutz durch Einsprachen.

Aktuell wird einer grossen Anzahl Personen der Rechtsschutz verwehrt, womit die verfassungsmässig geschützten Verfahrensgarantien nicht mehr gewährleistet sind. Rebekka Meier, Verein «Schutz vor Strahlung»

Die Kantone sind aufgefordert, sofort entsprechende Verordnungen zu erlassen. Es ist willkürlich, dass aktuell nicht alle nicht-dringenden Verfahren stillstehen, was den Baugesuchstellern inakzeptable Vorteile bringt. Es darf nicht sein, dass die momentane Situation ausgenutzt werden kann, um heikle Baugesuche unbemerkt durchzubringen, an den Interessen der Bevölkerung vorbei.

Für einmal liegt die Kompetenz nun bei der Regierung der einzelnen Kantone und nicht beim Bund. Der Kanton Neuenburg hat bereits einen entsprechenden, guten Entscheid gefällt.
Der Verein «Schutz vor Strahlung» beantragt in einem Schreiben an die zuständigen Kantonsregierungen einen vollständigen Fristenstillstand aller Baubewilligungsverfahren für Mobilfunkanlagen in allen Kantonen.

Namentlich sollen folgende Fristen stillstehen:

  • Einsprachefristen von Baugesuchen
  • Fristen zur Anforderung des Baurechtsentscheids
  • Fristen innerhalb von laufenden Baubewilligungs- und Beschwerdeverfahren auf Gemeinde-, Kantons- und Bundesebene (Erstellen von Stellungnahme, Replik, Schlussbemerkung)
  • Fristen für den Weiterzug an eine höhere Instanz
  • Frist zur Einzahlung eines Kostenvorschusses

Der Verein «Schutz vor Strahlung» schlägt den Kantonsregierungen vor, analog der bundesrätlichen Verordnung vom 20. März 2020 auf Kantonsebene eine entsprechende Anordnung mit sofortiger Wirkung zu erlassen.

Im Gegenzug haben wir unsererseits bereits viele Mobilfunkgegner dazu aufgerufen, keine Unterschriftensammlungen und Sitzungen mehr durchzuführen. Dies trotz des Risikos, dass Fristen verpasst werden, jedoch in der Erwartung, dass die Fristen in Kürze – auch rückwirkend auf den 16. März 2020 – stillstehen werden.


Medienkontakt Verein «Schutz vor Strahlung»
Rebekka Meier, Leitung Baurechtsabteilung
rebekka.meier@schutz-vor-strahlung.ch, 032 652 61 61

4 Kommentare zu diesem Beitrag

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  1. Ich danke Euch allen ganz ganz herzlich für diese dringende wichtige Intervention.

    Auf der einen Seite “Gesundheit” als Ursache für einen aufwändigen Lockdown zu benennen, und gleichzeitig “Gesundheit” im Bereich Wohnen und Strahlung komplett zu ignorieren, das wäre definitiv ein ambivalenter Fauxpas.
    Ich nehme an, diese Unterlassung vom Bund war ein Versehen, und hoffe auf einen schnellen klaren Verstandes- und Herzensentscheid von unseren Verantwortlichen im Land.
    Dafür danke ich im Voraus.

    Danke für Euern grossen Einsatz zum Wohl der Menschen.

  2. Als Beispiel kann Büren an der Aare aufgeführt werden.

    Es ist der Bevölkerung von Büren gelungen, dass vor Ostern 2019 publizierte Baugesuch einer 5G adaptiven MFA mittels 110 Einzeleinsprachen und 453 Petitionsunterschriften knapp ein Jahr auf Eis zu legen. Die politische und zuständige Baubewilligungsbehörde hatte aber kein Gehör und bewilligte die 5G MFA mit Datum vom 2. März 2020.

    Das aktive Komitee “Stop 5G in Büren an der Aare” wird daher die den Bauentscheid mit Baubeschwerde beim Kanton anfechten. Dies muss bis 2. April 2020 erfolgen, da wie gehört die Beschwerdefristen von 30 Tagen infolge Corona Verorornung nicht erstrreckt wurden. Hingegen ist es dem Komitee nicht erlaubt Unterschriften für eine Gemeindeinitiative für eine Standortplanung MFA Büren an der Aare im öffentlichen Raum oder von Tür zu Tür zu sammeln!

    Das ist Demokratie im Notrechtmodus! Entscheidend wird nun sein was Frau Sommaruga in Bezug auf 5G nach der Corona Verordnung entscheiofden wird. Es gilt Vorsicht mit der Notrechtvorsicht zu bewahren – insbesondere auch bei 5G!

    1. Beispiel Langnau i.E.

      Zwei Gesuche für adaptive 5G-Antennen wurden auf Initiative der “Bürgergruppe 5G Langnau” mit Einsprachen belegt, jedoch am 11.7. 2019 bzw 29.1.2020 von der Baubewiiligungsbehörde bewilligt. Daraufhin erfolgte in beiden Fällen eine Beschwerde beim Kanton. Während die zweite Beschwerde noch hängig ist, wurde die erste im März 2020 abgewiesen und ans Verwaltungsgericht weitergezogen.

      Weitere Vorstösse (z.B betr 5G und WLAN) im Gemeindeparlament sind geplant, können aber nicht eingebracht werden, da die Session vertagt wurde. Dies ein weiteres Argument für die Demarche von “Schutz vor Strahlung”. Vielen Dank!

      Apropos: Dürfen wir den Inhalt des Schreibens an die Kantonsregierungen kennen zu lernen? Offenbar war ja ein Link in der Anmerkung (1) dazu im Text vorgesehen.